Das Streichelinstitut

Am 12.01.2011 fand auf der Bude des Wingolf ein denkwürdiger Abend der literarischen Hochkultur statt! Der Idee und vor allem dem unermüdlichen Einsatz von Gerhard Weinhofer verdanken wir alle den Besuch von Clemens Berger, einem der wohl talentiertesten und (man verzeihe mir meine subjektiv gefärbte Wortwahl) auch besten Jungautoren des deutschen Sprachraumes. Ich vermeide bewusst das Wort „Nachwuchsautor“, denn für Clemens Berger ist der unlängst erschienene Roman „Das Streichelinstitut“ bereits sein 6. Werk, ein weiterer grandioser Meilenstein zu wohlverdientem Ruhm und Anerkennung, die ich ihm von Herzen gönne.

Clemens Berger wurde 1979 in Güssing geboren und besuchte (wie viele andere Wiener Wingolfiten) das Gymnasium in Oberschützen. Danach hat er das Philosophiestudium in Wien begonnen, seit Jahren ist die Beschäftigung mit Sprache sein zu Hause geworden. So weit so gut – so viel ist aus der Biographie auf seiner Homepage (www.clemensberger.at) zu entnehmen.

Mit Clemens Berger verbinden viele Wingolfiten darüber hinaus aber auch persönliche Erlebnisse. Manchen ist er noch aus der Schulzeit bekannt. Ich selbst habe ihn jedoch recht bald danach aus den Augen verloren. Bis auf einen sonnigen Samstag im Juni. Bis ich mich an jenem Tage im Buchgeschäft meines Vertrauens wieder fand um endlich eines seiner Werke zu lesen. Ich wollte sehen ob der mutige Schritt hinein in die risikoreiche Existenz des freischaffenden Schriftstellers eine lohnende, bewusst gewählte, ja geradezu logische war und ob sich dies auch in seinen Werken widerspiegelt. Ich wollte sehen was nun hinter dem immer wieder auftauchenden Namen Clemens Berger steckt und war schlichtweg neugierig was sich hinter den klingenden Namen seiner Werke wie „Die Wettesser“ oder „Der gehängte Mönch“ verbirgt.

„Das Streichelinstitut“ habe ich innerhalb weniger Tage verschlungen. Ich war begeistert von der grandiosen Sprachgewalt, den meist humorvoll gewählten, oft auch sehr tief gehenden Beobachtungen des Alltagslebens. Das Buch hat mich zum Nachdenken gebracht und gleichzeitig mit der expliziten Direktheit mancher Szenen fasziniert. Der (für Bekannte des Autors) sehr autobiographisch erscheinende Text beschäftigt sich mit einem in den Tag hinein lebenden erfolglosen Philosophiestudenten, der eines Tages beschließt ein unkonventionelles Geschäftsmodell zu verwirklichen. Er eröffnet ein Streichelinstitut in dem er Streicheleinheiten gegen Bezahlung anbietet. Weitergehende erotische Handlungen ausgeschlossen. Das Buch beschreibt den Wandel des linksliberal stehenden Gesellschaftskritiker Severin Horvath der sich alsbald als erfolgreicher Bobo (bourgeoise bohemien) und „Normalo“ im 7. Wiener Bezirk wiederfindet. Neben seinem beruflichen Erfolg ist Severin mit der Liebe seines Lebens gesegnet, ist sich derer bewusst und kämpft dennoch mit den Erinnerungen an Eszther, einer ihn nicht loslassenden Affaire und Seelenverwandten. Hinter den absurd komischen und tief realistischen Alltagsbeobachtungen wirft das Buch zentrale Fragen eines jeden (jungen) Erwachsenen auf: Wie weit darf man im Alltag aufgehen ohne seine eigenen Ideale und Visionen über Bord zu werfen? Was kommt nachdem man die „große Liebe“ erst einmal fassen konnte, und sich die ersten Abnützungsspuren einer jahrelangen Beziehung breit machen? Was bedeutet Glück für jemanden und welche Rolle spielen dabei Geld und materielle Güter? „Das Streichelinstitut“ behandelt viele dieser Fragen aus Sicht des Autors und gibt darüber hinaus wunderschöne Momentaufnahmen an Schauplätzen in und um Wien wieder.

Die Lesung an jenem Mittwochabend fand im Beisein von etwa 20 Aktiven und Philister statt, Conphilister Kesseler nutzte die Gelegenheit eines Wienbesuchs um gemeinsam mit seiner Frau der Veranstaltung beizuwohnen. Clemens Berger hatte einige Lesestellen vorbereitet, danach gab es einige Zugaben nach Wünschen aus dem Auditorium. Im zweiten Teil des Abends wurden zum Thema „Österreich quo vadis“ aktuelle Anliegen aus Politik und Kunst andiskutiert. Der Abend klang in gemütlicher Runde bei heißem Leberkäs´ und dem einen oder anderen Bierchen im Barraum aus. Ich bedanke mich herzlich bei den Organisatoren für diese gelungene Veranstaltung, ich habe den Abend sehr genossen.

M.K.Wi 00